So nutzen Sie die Krise als Chance
In der Krise frisst die Panikzone unsere Komfortzonen auf. Je mehr Angst, desto schwieriger wird es, in den Flow-Zustand zu kommen – dabei liegt genau dort der Weg aus der Krise.
Montagmorgen. Der Geschäftsführer lässt die Bombe platzen: Ab nächste Woche arbeiten Sie in Kurzarbeit. Ihr Magen beginnt zu rebellieren; vor Ihrem inneren Auge türmen sich Berge an Mahnungen. Ihre Scheidung hat Sie bereits finanziell ans Limit gebracht. Warum das jetzt auch noch? Wieso ich? Ihre Komfortzonen-Mantras wie „Eines nach dem anderen“ und „Alles wird gut“ kommen gegen die Panik nicht an. Kurzum: Sie rutschen in die Panikzone ab.
„Gerade jetzt ist es erforderlich, die Extrameile zu gehen und sich noch effizienter auf den Job zu konzentrieren.“ – derlei gut gemeinte Tipps von Führungskräften treffen die Mitarbeiter in Krisenzeiten wie ein Schlag ins Gesicht. Umso wichtiger ist es für Geschäftsführer in einer Krisensituation, die Perspektive ihrer Belegschaft zu verstehen. Doch wie sieht es mit ihrer eigenen Perspektive aus?
Sonntagmorgen. Sie als Geschäftsführer haben in der Nacht kein Auge zugetan. In Ihrem Kopf kreist das Gedankenkarussell: Wie informiere ich meine Belegschaft, was die Krise bedeutet? Was soll ich auf die Frage antworten, wie lange die Kurzarbeit dauert? Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht. Schon vor der Krise hatte ich keine klare Strategie und kein zukunftsfähiges Geschäftsmodell. Alleine werde ich den Karren nicht aus dem Dreck ziehen. Aber wofür bezahle ich eigentlich meine Führungskräfte so teuer? Jetzt ist es an der Zeit, von ihnen diese vielgelobte „Eigenverantwortung“ einzufordern – und Ideen!
Wie kann ich die Panikzone überwinden?
Ein Lottogewinn würde Ihre Mitarbeiter augenblicklich aufheitern – doch für Sie als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens reicht ein Lottogewinn nicht aus, um die Krise abzuwenden. Sie wissen: Nur eine zündende Geschäftsidee vermag Sie aus der Panikzone zu reißen und Ihr Unternehmen finanziell wieder auf Kurs zu bringen. Schließlich will die Bank für jeden Kredit eine positive Fortführungsprognose mit einer tragfähigen Vision sehen.
Auch wenn Sie die Tatsache auszublenden versuchen: Wenn die besten Mitarbeiter erkennen, dass ein Lottogewinn wahrscheinlicher ist als eine tragfähige Vision, dann verändert sich das Unternehmen nicht mit, sondern ohne die Leistungsträger.
Der Flow-Zustand
Zwischen der Komfortzone und der Panikzone liegt ein enormes Lernfeld, innerhalb dessen sich Menschen entwickeln können und zu ungeahnten Höchstleistungen in der Lage sind.
Der Psychologe und Motivationsforscher Mihály Csíkszentmihályi hat die Flow-Theorie entwickelt. Demnach entsteht der sogenannte Flow-Zustand zwischen den Zonen „Überforderung“ und „Unterforderung“ bzw. „Langeweile“. Wobei die Ausgewogenheit von Qualifikation und Anforderung allein keine hinreichende Erfolgsgarantie für den Flow-Zustand ist.
Flow ist ein kreativer Zustand, der Menschen befähigt, Probleme auf dem Weg zu einem klaren Ziel zu lösen. Beim Flow „fließen“ Ideen, die für Personen ohne Flow im Verborgenen bleiben. Ein Flow-Zustand führt über die Zielerreichung zu einem Glücksgefühl. Sobald Menschen dieses Glücksgefühl erlebt haben, streben sie immer wieder danach. Als gute Führungskraft schaffen Sie die Rahmenbedingungen, dass Menschen immer wieder in den Flow-Zustand zurückfinden können.
Voraussetzung für den Flow-Zustand ist die klare Vorstellung eines zukünftigen Zielzustands, für den es sich lohnt, seine Energie einzusetzen. Die Forschung zeigt, dass Menschen weniger beim Nichtstun oder im Urlaub in einen Flow-Zustand gelangen, als vielmehr beim Arbeiten. Und zwar immer dann, wenn das, woran sie arbeiten, Sinn ergibt und Zufriedenheit auslöst. Die persönlichen Ziele werden adressiert und stehen im Idealfall mit den Zielen ihres Unternehmens in Einklang.
Der Weg aus der Panikzone hin zum Flow-Zustand ist genauso möglich wie aus einer Komfortzone heraus. Während die Angst wie eine Blockade wirkt, bremst der „innere Schweinehund“ als Hüter der Komfortzone den eigenen Antrieb, sich einer Sache völlig hinzugeben.
Wer einen Angstzustand mit einem sinnvollen Ziel überwinden kann, der sieht ein Licht am Ende des Tunnels. Dabei ist es einfacher, Menschen mit einem sinnvollen Ziel aus einer Panikzone in die Lernzone zu bewegen, als Personen, die sich ihre Komfortzone gemütlich auf der Sonnenseite des Lebens eingerichtet haben. Die Vorbehalte, eine aussichtslose Situation zu verlassen, sind weit geringer, als sein Komfortverhalten zu verändern.
Nicht alle können und müssen in den Flow-Zustand
Es ist nicht notwendig, alle Mitarbeiter in den Flow zu bringen. Der Flow-Zustand ist stark von Veränderung und Kreativität bestimmt. Dabei entstehen natürliche Fehler mit entsprechenden Nebenwirkungen. So erfordert der Job eines Buchhalters weniger Flow als vielmehr Stabilität und Konzentration auf bewährte Regeln. In den Flow-Zustand sollten Personen kommen, deren Aufgabe es ist, größere Veränderungen zu realisieren: Entwickler, Marketingspezialisten und natürlich möglichst alle Führungskräfte.
Als Geschäftsführer sollten Sie deshalb prüfen: Haben die Personen, die in den Flow-Zustand kommen müssen, überhaupt die notwendigen Voraussetzungen dazu, sprich die richtigen Persönlichkeitsmerkmale und ein konstruktives Umfeld? Hier hat es sich bewährt, drei Dimensionen zu betrachten.
- Hält der Mitarbeiter sein Unternehmen für zukunftsfähig oder würde er keinen Cent mehr auf das Geschäftsmodell wetten? Fehlt der Glaube an das Unternehmen und die Leidenschaft für das Geschäftsmodell, dann bleibt der Flow-Zustand aus.
- Fühlt sich der Mitarbeiter in seinem Umfeld wohl – auch im familiären? Ist seine Ehe harmonisch oder ist der Kopf durch Scheidung und finanzielle Problem blockiert? Private Blockaden im Kopf machen jeglichen Flow-Zustand im Betrieb unmöglich. Ein Flow-Zustand wird nicht mit Betreten des Unternehmens erreicht, sondern findet seine Finalisierung in der Regel über Nacht. Der zündende Gedanke kommt vielfach nach dem Aufstehen oder in der Dusche. Wer mit einem Rucksack an Sorgen ins Bett geht, der wacht in der Regel nicht mit Geistesblitzen auf.
- Ist der Mitarbeiter gesund genug, um erfolgreich zu sein? Wen täglich Sorgen plagen, dass seine Gesundheit nicht mitspielt und er den Erwartungen weder körperlich noch mental gewachsen ist, der ist mit seinen Problemen beschäftigt und hat keine Chance, in den Flow-Zustand zu kommen.
Der unternehmerische Hebel für Flow
Die Gesundheit und das Familienleben Ihrer Leistungsträger können Sie nur teilweise beeinflussen: vom Bio-Essen im Firmenbistro über die Gratismitgliedschaft im Fitnessclub bis hin zur Firmen-Kita und flexiblen Arbeitszeitmodellen. Die unternehmerische Perspektive liegt jedoch vollständig in Ihrer Hand!
Deshalb ist die Krise eine Chance für alle Unternehmer, die ihren Mitarbeitern Sinn-Perspektiven aufzeigen und gemeinsam klare Vorstellungen entwickeln, wie die Reise in eine sonnige Zukunft konkret aussehen kann. Aber Achtung: Flow entsteht nicht bei utopischen Vorstellungen, die im stillen Kämmerlein entwickelt wurden und auf materielle Ziele wie die Steigerung von Umsatz oder Gewinn ausgerichtet sind. Sie benötigen die Kompetenz, wirksame Visionen und Ziele im Team zu formulieren. Tragfähig werden Visionen, wenn die beteiligten Menschen diese für sich begreifbar übersetzen können und mit Herz und Verstand dahinterstehen.
Flow entsteht deshalb bei visionären Zielvorstellungen, die auf den Kundennutzen fokussiert sind und in greifbare und verständliche Teilziele heruntergebrochen werden. Das klassische Zielverständnis von KPIs ist dabei mehr als kontraproduktiv. Die Kunst besteht darin, handlungsleitende Zustandsbeschreibungen messbar zu formulieren und diese Zielzustände in einem Kontext zu visualisieren – sozusagen das Zukunftsbild in sinnvolle Teilbilder zu zerlegen, die dazu inspirieren, einen Weg in die Zukunft zu finden.
Diese Anforderung gilt vor und nach jeder Krise. Wer jedoch vor der Krise nicht gelernt hat, mit Rückschlägen bei der Umsetzung einer großen Vision umzugehen, der wird sich sehr schwer tun, im Krisenfall die erforderliche Geduld und Beharrlichkeit aufzubringen. So paradox es klingt: Suchen Sie sich Vertrauenspersonen, die an visionären Zielen gescheitert sind und nicht aufgegeben haben. Die Erinnerung an das Aufstehen nach einem Rückschlag muss in einer Krise immer wieder abgerufen werden.
Mindset als Erfolgsursache
Bei der Umsetzung jeder großen Vision sind eigenverantwortliches Denken und Handeln sowie Freiräume für Kreativität die zentralen Rahmenbedingungen für Innovation. Welche Rahmenbedingungen entstehen, liegt ausschließlich am Mindset der Geschäftsführung.
Mindset ist die Art und Weise, wie wir auf Umstände reagieren, wie wir an Dinge herangehen, was wir von uns selbst denken und wie wir mit Herausforderungen umgehen. Unser Mindset wird geprägt von unseren Erlebnissen und Erfahrungen und den Reaktionen unseres Umfelds auf unser Handeln. Die klassischen Führungsreflexe haben ausgedient – schlimmer noch: sie sind völlig kontraproduktiv, wenn innovative Lösungen gefragt sind.
Flow als Zielvorgabe funktioniert nicht
Eigenverantwortung und Flow können den Führungskräften und Mitarbeitern nicht als Zielvorgaben verordnet werden. Wer als Geschäftsführer davon ausgeht, dass mit einem „angemessenen Gehalt“ automatisch „Eigenverantwortung“ und „kreative Problemlösungen“ eingefordert werden können, der begeht zwei zentrale Denkfehler.
Erstens werden die Bereitschaft, Eigenverantwortung zu übernehmen, und die Fähigkeit, Flow-Zustände zu erreichen, nicht über finanzielle Anreize generiert, sondern liegen vielmehr tief in der Persönlichkeit eines Menschen verankert. Persönlichkeit hat nichts mit Talent zu tun. Persönlichkeit ist ein Abbild der Einstellung. Jeder kann seine Einstellung verändern. Es kann jedoch nicht die Aufgabe der Personalentwicklung sein, grundlegende Denkweisen von Menschen zu ändern – es ist vielmehr die Aufgabe, Menschen mit einer zur Kultur passenden Einstellung zu finden: „Hire for attitude, train for skills.“ Dazu muss diese Kultur aber bereits erkennbar vorhanden sein. Es ist schwer, Mitarbeiter zu binden, wenn die Kultur nur im Leitbild steht und nicht gelebt wird.
Zweitens wird sich die richtige Einstellung erst dann zeigen, wenn die Geschäftsführung eine echte Vertrauenskultur schafft, in der Eigenverantwortung angstfrei gelebt werden kann. Das bedeutet, aus eigenen Fehlern auch lernen zu können – ohne Repressalien und schnippische Kommentare. Eine Vertrauenskultur erfordert eine enorme Vorleistung durch die Geschäftsführung. Es braucht Investment in die eigene Verhaltensweise und viel Zeit und auch Geld, um den Entwicklungsprozess in Gang zu bringen und am Laufen zu halten.
Führungskräfte mit der gewünschten Einstellung
Für die Geschäftsführung bedeutet dies in erster Konsequenz, ihr Führungsteam mit jenen Personen zu besetzen, deren Persönlichkeitsstruktur die erforderlichen sozialen und emotionalen Kriterien für Eigenverantwortung und Flow aufweist.
Dazu gehört auch, sich von den Teammitgliedern zu trennen, denen diese Kriterien fehlen. Ansonsten blockiert das Mindset dieser Kollegen den Flow-Zustand der Leistungsträger. Was lernt das Umfeld in diesem Fall daraus? „Eine einheitliche Führungskultur ist nicht möglich. Wieso soll ich mich dann daran halten? Je unabkömmlicher ich mich operativ mache, desto mehr Freiheiten kann ich mir herausnehmen.“ Damit schwindet das Miteinander und der Egoismus wächst.
Das „so nicht“ und „genau so“ auf der kulturellen Ebene zu erkennen und zu vermitteln, ist eine nicht delegierbare Führungsaufgabe. Die gewünschte Einstellung der Kollegen kommt nicht von ungefähr, sondern sie entsteht durch Konsequenz und Vorleben.
Ein neues Verständnis der Führungsrolle
Diese Konsequenz und Vorbildfunktion bedeuten für die oberste Führung in vielen Fällen, ihr eigenes Selbstverständnis von der Führungsrolle weitgehend auf den Kopf zu stellen und sich vom „Ansager“ zum „Moderator“ zu transformieren. Das ist ein steiniger Weg, der gerade in Krisenzeiten von den Kollegen als Engagement der Geschäftsführung zur Transformation positiv wahrgenommen wird.
Wer weitermacht wie bisher, vielfach alles besser weiß als sein Team, wer im Krisenmodus aufgrund von Zeit- und Kostendruck alle Bedenken und Ideen aus dem Team herunterbügelt und sich zum Helden stilisiert, der erzieht die Führungskräfte und Mitarbeiter zu „Handlangern“. Das ist ein Rückschritt ins 18. Jahrhundert.
Fangen Sie an, sich als Führungskraft zu reflektieren und gestehen Sie sich ein, dass es schwierig ist, sein Mindset zu verändern – verdammt schwierig. Und dass es länger dauert, als Sie sich zugestehen wollen – viel länger. Und dass dies ohne fremde Hilfe lange dauert – viel zu lange.
Erkennen Sie, dass Sie nicht allein sind! Es geht den meisten Führungskräften so – nicht nur in Ihrem Unternehmen, sondern in allen Branchen und zwar weltweit. Zumindest betrifft es alle, die seit mehr als 20 Jahren erfolgreich mit einem anderen Mindset geführt haben. Auch wenn es die größte Aufgabe in Ihrem bisherigen Managerleben ist – Sie schaffen Ihre Transformation, wenn Sie es wirklich wollen. Ihre Kollegen werden es Ihnen danken – mit Resultaten, die nicht zuletzt durch Flow-Zustände entstehen.