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Neuroplastizität ermöglicht den emotionalen Fingerabdruck zu verändern (2/3)

Gehirnstruktur

Teil II: Die Fähigkeit, unsere Gehirnstruktur neu zu organisieren

„Nicht das, was du nicht weißt, bringt dich in Schwierigkeiten, sondern das, was du sicher zu wissen glaubst, obwohl es gar nicht wahr ist.“ Im Sinne Mark Twains waren Neurowissenschaftler jahrzehntelang der Ansicht, das Gehirn eines Erwachsenen sei in Form und Funktion weitgehend fixiert. Heute wissen wir, dass die Vorstellung eines festgefügten, sich nicht verändernden Gehirns falsch ist. Das Gehirn verfügt vielmehr über die Eigenschaft, sich extrem schnell in Hinblick auf Gehirnstruktur und Funktion signifikant neu zu organisieren. Solche Veränderungen können als Reaktion auf neue Erfahrungen und neue Gedanken entstehen.

Neuronale Verbindungen verdoppeln

Der Medizin-Nobelpreisträger Eric Kandel hat nachgewiesen, dass Nervenzellen im Gehirn, durch die Signale geschickt werden, schnell wachsen. Werden Neuronen in einem Nervenbündel immer wieder stimuliert, kann sich die Anzahl der synaptischen Verbindungen in gerade einmal einer Stunde verdoppeln (Kandel, 1998). Zum Vergleich: Verhielten sich die Netzwerkkabel, die unsere Städte, Haushalte und Unternehmen verbinden, wie unser Körper, dann würden diese bemerken, wieviel Traffic durch sie transportiert wird, und daraufhin jede Stunde die Kapazität der stark beanspruchten Kabel verdoppeln.

Um die Rohstoffe für die Neuverkabelung der Netze herbeizuschaffen, in denen der meiste Traffic stattfindet, würde unsere intelligente Netzwerkstruktur Kabel an anderer Stelle schrittweise abbauen.

Unser Körper macht genau das Gleiche. Ist ein vorhandener neuronaler Signalpfad drei Wochen lang inaktiv, beginnt der Körper ihn abzubauen, um diese Bausteine für aktive Schaltkreise nutzen zu können (Kandel, 1998).

Die Verbindungen zu unseren Erinnerungen bauen sich ab, nicht die Erinnerungen an sich. Bestimmte Erinnerungen, die durch eine Autobahn-Verbindung schnell abrufbar sind, sind bei Nicht-Nutzung zunehmend schwerer erreichbar. Wir erleben dies, indem Erinnerungen in Vergessenheit geraten.

Neue Fertigkeiten bereits nach einer Stunde

Dieser Prozess der sogenannten Neuroplastizität zeigt sich deutlich beim Erlernen neuer mechanischer oder intellektueller Fertigkeiten. Wenn Sie beispielsweise einen Spanisch-Kurs besuchen, haben Sie schon nach einer Stunde die ersten paar Wörter gelernt. Nach einem Jahr sind die damit zusammenhängenden Nervenbündel so gut ausgebaut, dass Sie einfach spanische Sätze ohne bewusste Anstrengung sprechen können. Oder Sie spielen regelmäßig Schach – eine geistige Herausforderung, die bis ins hohe Alter einen scharfen Verstand und wachen Geist bewahrt.

Anfangs ist es verwirrend. Man weiß nicht mehr, ob man denn nun den Turm oder den Läufer diagonal zieht. Aber nach ein paar Spielen führt man die Züge ganz zielstrebig aus und entwickelt sogar eine Spielstrategie.

Egal, ob Sie eine neue Sprache erlernen, ein neues Hobby meistern, sich in einer neuen Beziehung oder einem neuen Job zurechtfinden müssen: Immer finden im Gehirn Aufbau- und Abbauarbeiten statt. Sie bauen die neuronalen Schaltkreise aus, die Sie am meisten nutzen, und alte Schaltkreise verkümmern.

Der Gehirnnutzung folgt das Gehirnwachstum

Schließlich nehmen ganze Gehirnareale, die aktiv genutzt werden, an Masse zu. Anhand von Kernspintomogrammen kann man die Größe aller Teile eines lebenden menschlichen Gehirns messen. Wie man dabei festgestellt hat, haben Menschen, die ihr Gedächtnis aktiv nutzen, beispielsweise Londoner Taxifahrer, die sich in dem extrem komplexen Netz von 25.000 Straßen zurechtfinden müssen, mehr Gehirngewebe im Hippocampus, also jenes Areal, das mit Kontext und räumlicher Erinnerung assoziiert wird. Tänzer wiederum entwickeln mehr Gehirnmasse in dem Bereich, der für die sogenannte Propriozeption, die Wahrnehmung von Körperbewegungen und -lage im Raum verantwortlich ist.

Unser Geist trifft ständig Entscheidungen, beispielsweise über die Teilnahme am Spanisch-Kurs oder die Mitgliedschaft in einem Schachclub. Was der Geist macht, entscheidet dann darüber, welche Schaltkreise im Gehirn aktiviert werden. Die neuronalen Pfade im Gehirn, die durch die Entscheidung des Geistes stimuliert werden, wachsen und werden ausgebaut. So erzeugt der Geist buchstäblich das Gehirn.

Ein neues emotionales Profil durch Fokus und Achtsamkeit

Das Faszinierende ist, dass sich diese neuronale Umstrukturierung rein mental bewirken lässt. Mithilfe von Achtsamkeitsübungen und Aufmerksamkeitstraining können wir unser Gehirn so beeinflussen, dass wir sensibler für zwischenmenschliche Signale ebenso wie für unsere eigenen Emotionen werden und zu einer insgesamt positiveren Grundeinstellung gelangen.

Wir können nicht nur die Aktivitätsmuster, sondern sogar die Struktur unseres Gehirns dahingehend verändern, dass wir einen anderen emotionalen Stil entwickeln, mit dem es sich leichter leben lässt.

Fazit

Es gibt weder den einen perfekten emotionalen Stil, noch irgendeine Idealposition innerhalb einer der sechs Dimensionen. Ohne die Existenz unterschiedlicher emotionaler Typen könnte die menschliche Zivilisation sich nicht weiterentwickeln. Dies gilt selbst für die Extreme.

Im Teil I haben wir die Rolle „Innovator“ mit ihren außergewöhnlich extremen Ausprägungen beschrieben. Oder denken Sie an einen Steuerberater, der sich hochkonzentriert durch einen Wust von Einkommensteuerformularen, Zahlenkolonen und Belegen durcharbeitet und dabei mühelos die ablenkenden Botschaften aus den emotionalen Zentren des Gehirns auszublenden vermag. Oder an das technische Genie, dem es leichter fällt, mit Maschinen als mit Menschen umzugehen, weil das für soziale Intuition zuständige neuronale Netz bei ihm so schwach ausgeprägt ist, dass er auf soziale Interaktion einfach weniger Wert legt.

In Teil III ermöglichen wir Ihnen anhand ausgewählter Kriterien pro Dimension eine Selbsteinschätzung ihres emotionales Profils.

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